Summerbreak, wonderful.
Meine Sommerpause begann und ich wusste zu Beginn nicht, was ich in diesen 5 Wochen machen sollte. Mein Freund und ich hatten uns in letzter Zeit nur noch gestritten und ich merkte, wie wenig wir einander kennen. So entschieden wir gemeinsam, dass es wohl das Beste wäre, unsere vierjährige Beziehung zu beenden.
Draussen war so heiss, dass es nicht mal im Schatten kühl war. Meine Freundinnen schleppten mich trotzdem aus dem Haus. Ich ging jeden Tag in die Badi und hatte Spass mit meinen Freundinnen, ich wurde zu einer echten Wasserratte!
An einem dieser Tage ging ich mir ein Eis kaufen. Während ich wartete, grabschte mich ein älterer Mann an. Ich hatte Angst zu schreien und es war mir peinlich, deshalb liess ich es über mich ergehen.
Das war nicht das erste Mal, dass ich eine solche Situation erlebte. Als ich davor am Flughafen war, wurde ich ebenfalls von einem fremden Mann berührt. Glücklicherweise gab es Leute, die das gesehen hatten, mir zur Seite standen und die Polizei alarmierten.
An diesem Tag am Flughafen hatte ich noch ein anderes Erlebnis, das mich bis heute nicht loslässt. Ich traf auf viele Leute, die aus der Ukraine einreisten. Es war schmerzhaft, zu sehen, wie es diesen Leuten ging.
Diese Menschen hatten keine spassigen Sommerferien, wie jeder andere. Sie mussten sich in ihrer Heimat durch das Leben kämpfen, waren täglich an Leib und Seele bedroht. Sie lebten mit Wasserrationierung, sie konnten nur ein paar Schlücke Wasser pro Tag bekommen, während wir so viel tranken, wie wir nur konnten/wollten.
Ca. eine Woche war seit diesem Tag in der Badi vergangen. Ich war auf dem Weg zur Tankstelle, wo ich mir eine Tiefkühlpizza und einige Snacks kaufen wollte. Dieser Mann, er war wieder da und verfolgte mich. Schnell lief ich in eine Gasse, da ich ihn abhängen wollte. Ich hatte Angst, Angst, dass er mir etwas antun könnte.
Leider gelang es mir nicht, ihn abzuschütteln. Er verfolgte mich, blieb immer an mir dran. Mein Kopf befahl mir: Renn! Ich sprintete los, aber er blieb mir auf den Fersen. Zu spät bemerkte ich, dass ich in eine Sackgasse gerannt war.
Im Spital, da war ich nun. Die einzige Erinnerung, die ich noch von diesem Abend besitze, war, dass er es schaffte, mich einzuholen und mich packte. Ich spürte enorme Schmerzen, etwas Flüssiges lief meine Hüfte hinunter. Blut. Ich fiel in Ohnmacht, die Schmerzen waren zu stark.
Die Polizei befragte mich. So viele Fragen. Ich konnte keine einzige beantworten. Mir wurde erzählt, dass ich sexuell missbraucht worden sei und einen Messerstich in die Hüfte bekommen hatte. Jetzt wusste ich wenigstens, wieso diese Stelle mir solche Schmerzen bereitete.
Ausser der Information, dass ich von einem Mann verfolgt worden war und er mir wohl das alles angetan hatte, konnte ich nichts zur Klärung des Falles beitragen. Ich erzählte ihnen auch, was in der Badi geschehen war. Allerdings konnte ich nicht einmal sein Gesicht beschreiben. Ich fühlte mich absolut machtlos, verletzt und einsam. Ich wünschte mir in diesem Moment, dass der Mann mich umgebracht hätte.
Meine Therapie begann erst Monate nach dem Ereignis. Psychologen nach Psychologen gaben sich die bei mir zu Hause die Klinke. Ich getraute mich nicht mehr aus dem Haus und musste dann auch nicht mehr in die Schule. Jede Nacht durchlebte ich die Ereignisse dieses Tages nochmals. Weshalb hatte ich nicht geschrien? Wieso war es mir peinlich gewesen? Wieso war ich bloss in diese dumme Gasse gerannt?
Obwohl es schon Jahre her ist, kann ich nicht aufhören, daran zu denken. Ich war doch erst fünfzehn. Wieso musste das genau mir passieren? Heute noch habe ich so viele Fragen, die ich mir nicht beantworten kann. Aber mein Leben lässt mich nicht vergessen. Seit diesem Tag wurden bei mir diagnostiziert: Soziale Phobie, Post-Trauma, Depression, BPD (Borderline-Personality-Disorder) sowie eine Essstörung.
Nach wie vor habe ich Angst. Angst in die Regionalbahn einzusteigen. Sie könnte überfüllt sein und das macht mir Angst. Es macht mir Angst, so nahe an Menschen zu sein. Flohzirkus, Freizeitparks, alles löst in mir eine furchtbare Angst aus. Viele Menschen an einem Ort sind der Horror für mich. Über Konzerte oder Open Airs kann ich das Gleiche sagen.
Lasst euch niemals von jemandem berühren, wenn ihr es nicht wollt. Schreit, falls es nötig ist. Rennt niemals in eine Gasse, in der niemand ist. Falls euch trotzdem etwas geschieht, sprecht darüber. Habt keine Angst, eure Geschichte zu erzählen.
Es ist nicht einfach, mit seelischen Erkrankungen zu leben, das wünsche ich niemandem.
Aber ich lebe, ich bin hier.
Dieser Text ist im Rahmen des „7 aus 12 – das Etüdensommerpausenintermezzo 2022“ von Christiane entstanden.
Ach, verdammt. Ich werde nie verstehen, warum es solchen bösartigen Vollidioten egal ist, dass sie einen Menschen nur aus Geilheit (oder was sie dafür halten) so schwer schädigen. Kein Herz, kein Hirn, kein Mitgefühl. Man könnte verzweifeln.
Ich hoffe, dass dein Text nicht autobiografisch war, und ich wünsche deiner Protagonistin, dass es ihr irgendwann wieder besser geht. Ich werde so wütend, wenn ich so etwas lese.
Liebe Grüße
Christiane ☁️🌳☕🍪🌼👍
Zum Glück ist mir sowas nie passiert, ich kann mir nicht vorstellen wie sich diese Frauen (ebenfalls Männer) fühlen. Unglaublich, wie unmenschlich einige Menschen sein können.