In dieser ABC-Etüde geht es um ein junges Mädchen namens Laura Smith. Sie lebte in England in einem kleinen Dorf auf dem Land im Jahre 1565. Vom 15. bis zum 18. Jahrhundert gab es in ganz Europa eine sogenannte Hexenjagd. Frauen, von denen man dachte, sie seien Hexen (was nicht stimmte), wurden gefoltert und oft getötet. Der Höhepunkt der Hexenjagd lag zwischen 1560 und 1630.
Die Inspiration zu dieser ABC-Etüde stammt aus einem Buch, das ich gelesen habe. Es heisst Hexenkind und wurde von der Autorin Celia Rees geschrieben. Es geht um die Geschichte des Mädchens Mary Newbury, die mit ihrer Grossmutter in England lebte. In ihrem Tagebuch erzählt sie, wie ihre Grossmutter als Hexe verurteilt wurde. Sie musste darum flüchten und schrieb auf ihrer Flucht nach Amerika ebendieses Tagebuch.
Wir haben den 24. Oktober 1565. Der Wind bläst mir eisig kalt um die Ohren und meine Arme umklammern meinen Oberkörper, in der Hoffnung dadurch ein wenig wärmer zu bekommen. Ich bin auf der Flucht vor englischen Soldaten. Mein Versteck ist ziemlich lausig, da ich nicht wirklich wegrennen kann, falls sie mich finden. Ich verstecke mich, auf den Knien verbleibend, hinter einigen Holzbrettern, welche an einer Hauswand angelehnt sind.
Wieso ich nicht wegrennen kann, falls sie kommen? Das liegt daran, dass der Abstand zwischen den Brettern und der rauen Wand immer schmaler wird und ich nicht mehr durchpasse. Mein Blick gleitet die Strasse runter, die ich durch die Schlitze der Holzbretter sehe.
Auf einmal sehe ich etwa neun Männer in roten Anzügen, die Parolen herumschreien und Passanten befragen, ob sie mich gesehen hätten. Sie nennen mich Abschaum. Eine Hexe. Da sie keinen Erfolg haben, streifen sie weiter durch die Strassen und verlassen mein Sichtfeld. ,Also ordentlich suchen ist anders …, denke ich mir.
Ich krieche gerade aus meinem Versteck hinaus, um ein neues zu suchen, da ich Angst habe, dass sie mich doch noch finden werden, wenn ich weiterhin hier bleibe. Ich bin inzwischen bereits fast vollständig hinter den Brettern hervorgekrochen. Auf einmal höre ich Hufgeklapper auf den harten Strassen und ich verharre einen weiteren Moment in meiner Kriechposition und halte die Luft an.
Mein Körper fängt an, sich wie in Zeitlupe rückwärts wieder in mein kleines unsicheres Versteck zu bewegen und als ich wieder Sicht auf die Strassen habe, verdoppelt sich die Grösse meiner Augen vor Schock. Ein Schauer fährt mir über den Rücken, wie noch nie zuvor.
Das erste Mal sehe ich den Mann, der meine Verfolgung angeordnet hat, den Kommandanten höchst persönlich. Seine Ausstrahlung ist dunkel und erinnert mich etwas an einen grauen Nebelschauer, der sich langsam an Dörfer heranschleicht und sie in seiner Dichte verschlingt.
Halbherzig blickte er von seinem schwarzen Pferd auf die Bürger hinunter, als wären sie hässliche Schweine, die sich regelmässig im Schlamm wälzen. Diese Abscheu, die er gegenüber diesen Menschen hat, ist so gross, sodass er mir schon beinahe leidtut. Er hatte einst selbst die Rolle eines armen Bürgers und deshalb kein Recht, sich jetzt so zu benehmen.
Die Pferde bleiben direkt vor mir stehen und zappeln ungeduldig mit ihren vier langen Beinen herum. Gedämpfter Atem strömt aus ihren Nüstern und sie schmeissen ihre Köpfe in die Luft und wieder hinunter. Die etwa fünf Pferde werden immer aufdringlicher und beginnen sich gegen den Willen ihrer Reiter zu stellen.
Dies machte den Kommandant wütend und er schreit auf die Pferde ein, was die ganze Situation nur noch schlimmer macht und sie ungewollt weiterreiten müssen. Mir entfährt vor lauter Freude ein leises Stöhnen. Ich vermute, das Universum ist heute auf meiner Seite und will mich für etwas belohnen.
Das Hufgeklapper wird immer leiser und ich beschliesse, mich nun wirklich aus meinem Versteck zu entfernen. Ein Umhang aus einem dünnen Stoff verbirgt meinen Körper und ich stülpe die halb zerrissene Kapuze über mein Haar, welches zwar schon von einem weissen Kopftuch bedeckt wird, aber leider mein Gesicht nicht versteckt. Ich schreite eilig den Häusern entlang, den Blick auf den Boden gesenkt.
Ich habe das Gefühl, dass sich zwei Augen in meinem Rücken bohren und mich jemand verfolgt. Nicht wissend, ob ich mit guten oder schlechten Absichten verfolgt werde, renne ich los. Wie ein Blitz biege ich in eine mir nicht bekannte Seitengasse ab und bleibe vor Schock abrupt stehen. Eine Sackgasse.
Eine Hand legt sich auf meine Schulter und eine tiefe Stimme spricht zu mir: „Ms. Smith, bitte legen Sie Ihre Arme hinter den Rücken. Sie sind verhaftet.“ In diesem Moment weiss ich nicht, ob dies meine letzten Sekunden sein werden oder nicht, wenn ich jetzt losrennen würde.
Ich drehe mich blitzschnell um und blickte in ein grässlich vernarbtes Gesicht, welches einige Sekunden später von meiner Faust gerammt wird. Mein harter Schlag lässt ihn einige Schritte nach hinten taumeln und ich renne an ihm vorbei, in der Hoffnung diesen Tag zu überleben. Vielleicht hat das Universum doch eine Bestrafung für mich ausgesucht. Ich vermute, ich werde es nie erfahren.
Dieser Text entstand aus der Wortspende für die Textwochen 46/47 des Jahres 2022 von Ulrike mit ihrem Blog Blaupause7. Allerdings sprengt er den vorgegebenen Rahmen der ABC-Etüden, da 300 Wörter nicht reichten.