Der helle Schatten (Impulswerktstatt)

Ich wachte auf und vergrub mein Gesicht gleich wieder genervt in meinem Kissen, aber da kam auch schon meine Mutter und riss mich aus dem Bett. Ich sah sie wütend an und stand widerwillig auf. Kaum war ich zum Badezimmer gelangt, überkam mich so ein komisches Gefühl. Ein Gefühl von Finsternis und Leere. Ich hasse Aufstehen. Schnell fing ich an meiner normalen Morgenroutine, die aus Duschen, Make-up und Anziehen bestand, nachzugehen. Ich ass noch etwas und flitzte aus der Haustür, setzte meine Kopfhörer auf und lief in die Schule.

Als ich ankam, wurde meine schlechte Laune gleich noch schlechter. Unsere Lehrer haben einen Test für den ersten Schultag angesagt. Ich kochte vor Wut. Kurz bevor die Stunde vorbei war, wurden uns noch drei Seiten Hausaufgaben und ein Vortrag aufgebrummt. Ich hatte jetzt schon keine Lust mehr auf Schule.

Völlig in meinen Gedanken versunken, blendete ich alles aus und fiel geradeaus über den Fuss meines Mitschülers, der ihn mir absichtlich gestellt hatte. Ich knallte flach mit dem Bauch auf den Boden und blieb einfach liegen. Der Tag war schon schlimm genug. Die Schüler liefen schallend lachend weg und liessen mich betrübt auf dem Boden liegen.

Mühsam rappelte ich mich auf und lief dann so schnell ich konnte in meinen Klassenraum. Ich merkte, wie meine Wangen immer kälter wurden und leichte Tränen darüber flossen. Ich wischte sie rasch weg und versuchte, so gut wie möglich normal auszusehen. Den ganzen Tag ging es weiter so. Diese Leute wollten das von mir, die anderen dies … Als ich nach Hause kam, war ich erschöpfter als nie zuvor.

Am nächsten Tag lief es genau so. Ich spürte, wie mir die Kraft, Freude und Energie förmlich aus dem Leib gerissen wurde. Ich versteckte mich ständig in meinem Zimmer, ging selten raus und fühlte mich ständig krank. Es schien, als wäre ich mit dem Haufen Verpflichtungen, Aufgaben und Bedürfnissen anderer einfach begraben worden. Es war, als hätte jemand den dunklen Vorhang vor mir zugezogen, und jetzt war alles nur noch schwer, finster und leer. Und alles, was ich machen konnte, war mir dabei zuzusehen.

Ich lebte nur noch für die Menschen, die was von mir wollten, und vergass mich dabei ständig. Nach einer Zeit, die ich hoffnungslos in meinem Bett verbrachte, versuchte ich alten Hobbys nachzugehen, Dinge zu tun, die mir Freude bereiteten. Mich mit alten Freunden zu treffen und Ausflüge nur für mich allein zu machen. Das half mir sehr. Ich sah langsam wieder einen hellen Schatten hinter dem dunklen Vorhang. Ein Lichtblitz, ein Funken Hoffnung.

Was ich damit jetzt im echten Leben sagen will: Es wird immer schlechte Tage oder Zeiten in unserem Leben geben. Tage, an denen man am liebsten ununterbrochen im Bett liegen und schlafen will. Tage, an denen man sich so unwohl fühlt, dass man am liebsten unter der Erde verschwinden will.

Doch es wird auch bessere Tage geben. Tage, an denen man aufwacht und so motiviert ist, dass man was Schönes unternimmt oder Tage, an denen man vor Freude platzen könnte. Vielleicht nicht gerade jetzt, doch sie werden kommen. Das sind die Momente, an denen wir uns festhalten sollen. Das sind die Zeiten im Leben, an die man sich zurückerinnert und lacht. Auch wenn man es jetzt nicht glaubt.

Man sollte sich Hilfe holen, jemanden in sein Gefühlschaos reinlassen und versuchen, das Chaos zusammen zu beseitigen. Dieses Mal ist es geglückt, und es wird auch immer glücken, wenn man sich Hilfe sucht und sich Zeit nimmt. Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels, immer einen hellen Schatten hinter dem dunklen Vorhang. Es gibt immer einen Ausweg. Auch wenn es nicht so scheint.


Dieser Text ist im Rahmen der Impulswerkstatt November/Dezember 2022 von Myriade entstanden.

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