Wie mein Glück mich aus der Armut befreite

Hi, ich bin Talia, 16 Jahre alt und komme aus Aderville, so  ziemlich der ärmsten Stadt in ganz México. Meine Mutter, mein Vater, mein Bruder und ich wohnen in einem kleinen ärmlichen Bauernhaus. Der Rest der Familie ist schon vor Jahren in andere Länder ausgewandert. Doch wir haben weder Geld noch den Mut, um so etwas zu wagen, deshalb wohnen wir immer noch hier.

Ich lese gerne. Wenn ich lese, kann ich richtig in diesen Charakter versinken, mir vorstellen, dass ich das wäre und davon träumen, auch mal ein solches Leben geniessen zu dürfen. Ein Leben ohne Probleme oder Sorgen. Wie schön wäre es, wenn sich dies verwirklichen lassen würde.

Vor ein paar Tagen, als ich in unserer heruntergekommenen Bibliothek lernen wollte, stolperte ich über ein Buch mit der Aufschrift „Die Pillen der Ermöglichung“. Ich nahm es mit und las mich ein. Es ging um neun Pillen, die dir jeweils eine Kraft verleihen. Eine stach mir sofort ins Auge. Die pinkfarbene Pille.

Sie gibt dir die Kraft, dich in alles zu verwandeln, was du willst, sogar in andere Menschen oder Gegenstände. Man kann sie zweimal täglich für 2 Stunden benutzen. Nebenwirkungen gibt es nicht. Ein bekannter Wissenschaftler in einem fernen Land hatte sie erfunden und sie schien wirklich zu funktionieren. In den Zeitungen war viel darüber berichtet worden. i

Ich sah das Buch neugierig an. Gibt es die Pillen auch hier?, fragte ich mich, während ich hoffnungsvoll darüber nachdachte, was ich denn alles mit dieser Pille tun könnte. 

Zwei Tage später war ich auf dem Weg zum Markt. Als ich durch die Gassen lief, stach mir ein Plakat ins Auge. Wieder eine traurige Nachricht. Die Prinzessin vom Königreich Wellington war während einer Reise nach  México verschwunden. Mir fiel auf, dass sie mir sehr ähnelte. Obwohl das eine traurige Nachricht war, fragte ich mich, wie schön es doch wäre, eine Prinzessin zu sein.

Ich schlenderte weiter, bis ich eine grosse Ansammlung von Menschen sah. Meine Neugier war geweckt. Ich lief aufgeregt zum Stand und dort lag sie, so prachtvoll wie Gold: die pinkfarbene Pille. Eine Welle von Neid durchfuhr meinen Körper: Wieso können sich das andere leisten und ich nicht? Ich verschaffte mir Platz, um die Pille näher zu sehen. Es gab sogar Dosen davon. Pro Dose 20–25 Stück.

„Herrliche Dame, möchten Sie ein Döschen kaufen“?, sprach mich der Verkäufer drängend an. Ich überlegte es mir. Ich wollte unbedingt solch eine Pille. Doch leider ich konnte sie mir nicht leisten. Der Verkäufer brachte mich hinter den Stand und drückte mir ein Pillendöschen in die Hand. Ich schaute zuerst meine Hand, dann ihn mit Verwirrung an. Der Mann lächelte nur und stellte sich wieder vor den Stand, um weitere zu verkaufen. Ich wunderte mich, warum er sie mir einfach so gegeben hatte, war jedoch überglücklich.  Sollte ich es wirklich wagen?

Schliesslich entschied ich mich, es auszuprobieren. Ich holte tief Luft: „Ich wünsche mir, keine Sorgen zu haben, reich zu sein und wie eine Prinzessin leben zu dürfen.“ Dann schluckte ich die Pille und nach zwei Sekunden war ich eine Prinzessin geworden. Ich glaubte meinen Augen nicht. Ich war das, ich war das wirklich! Als ich mich gerade staunend im Spiegel meines monströsen Zimmers ansah, trat eine Dienerin ein. Sie schaute mich mit offenem Mund an und verliess schreiend vor Glück das Zimmer.

Ich hätte sie gerne beruhigt, aber als ich mich umdrehte, stand ein nobler Mann vor mir. Er lächelte mich glücklich an und umarmte mich fröhlich. Ich verstand die Welt nicht mehr. Doch dann erkannte ich den Mann. Er war der König von Wellington. Das hiess … ich bin Tiffany, die verschollene Königstochter! „Wo warst du Tiffany! Wir hatten solche Angst um dich, deine Mutter war krank vor Sorge!“ Ich lächelte nur und erfand dann schnell eine Erklärung.

Nachdem sich die Situation etwas gelegt hatte, ging ich in den Garten. Ich wusste, dass mir nur noch einige Minuten blieben, bevor ich mich wieder zurückverwandelte. Daher versteckte ich mich in einem Busch und Zack: Ich war wieder Talia in Aderville. Es war schon spät, deshalb legte ich mich einfach schlafen.

Am nächsten Tag schluckte ich erneut eine Pille. Zack! Ich stand wieder in Tiffanys Zimmer. Dann suchte ich den König. „Tiffany! Wo warst du? Ich dachte, du bist wieder verschwunden! Wir alle waren voller Angst!“ Ich entschuldigte mich und sagte, ich brauchte ein bisschen Zeit nach dem ganzen gestrigen Gejubel, doch ich müsste ihm etwas sagen.

In diesem Moment kam die Königin rein. „Tiffany! Ich habe dich gesucht!“, sagte sie erleichtert. Ich erklärte ihr, dass mir das gestern zu viel geworden war und ich Ruhe gebraucht hätte. Sie lächelte und nickte verständnisvoll. Sie sah so glücklich aus. Schuldgefühle stiegen in mir hoch. Ich musste ihnen gestehen, dass das hier alles eine Lüge war und ich nicht Tiffany bin.

Ich wartete, bis die Königin den Raum verlassen hatte und gestand dem König alles. Wie ich dieses Buch über die Pille gelesen hatte und mir die Pille gegeben worden war. Dass ich nicht Tiffany sei, sondern lediglich ein armes Mädchen aus México. Dass ich das Plakat von Tiffany gesehen hatte, mir die Ähnlichkeit zwischen uns aufgefallen war und ich mir ein Leben in Reichtum gewünscht hatte. Ich erklärte ihm, dass ich Talia heisse, 16 Jahre alt sei und in einer kleinen Stadt wohne. Auch, dass ich nur zweimal für maximal zwei Stunden hier sein könne und nicht gewusst hätte, dass ich im Schloss landen und so ein grosses Problem verursachen würde.

Ich entschuldigte mich mehrmals und wartete auf eine Antwort oder wenigstens eine Reaktion des Königs. Doch es kam nichts. Er war wie versteinert. Dann wurde sein Gesicht rot, so glühend rot, wie ich es noch nie gesehen habe. Er war so enttäuscht, und wütend zugleich. Er schrie mich an, verlangte, dass ich unverzüglich sein Königreich verliesse und mich hier nie wieder blicken lassen sollte.

Ich verliess den Palast, wanderte traurig durch die Strassen von Wellington und wartete darauf, dass die Pille nachliess und ich nach Hause konnte. Als dies geschah, schwor ich mir diese Pillen nie wieder zu nehmen und warf sie weg.

Ich versuchte meinem normalen Alltag nachzugehen, doch ging mir das Erlebte nicht aus dem Kopf. Anscheinend dem König auch nicht. Denn nach circa zwei Wochen kam ein seltsam edel aussehender Brief bei uns an. Er war an mich adressiert. Ich öffnete ihn und er stammte tatsächlich vom König.

Er schrieb mir, dass die Königin nach meinem Verschwinden in eine schwere Depression gefallen war und nichts mehr ass. Ich war dem Königspaar in dieser kurzen Zeit ans Herz gewachsen und, obwohl ich nicht Tiffany war, hätten sie mich gerne wieder am Hof. Er bat mich zurückzukommen, (diesmal als Talia, weil ich ihr tatsächlich ähnlich sah) und wollte einen Neustart. Wir sollten uns alle richtig kennenlernen und ich sollte bei ihnen wohnen.

Ich schrieb zurück und willigte ein, denn dies war eigentlich, was ich mir immer gewünscht hatte: Ich wollte gesehen werden und keine finanziellen Sorgen haben. Ausserdem fühlte ich mich mit dem Königspaar verbunden. Doch ich hatte eine Bedingung. Meine Familie sollte auch mit und im Palast wohnen dürfen.

Der Brief mit der Antwort traf bereits einen Tag später ein. Meine Bedingung war bewilligt worden. Meine Familie durfte auch mitkommen. Ich freute mich riesig! Mein Traum ging in Erfüllung, ich wurde Prinzessin! Wir packten sofort unsere Dinge und verabschiedeten uns von den wenigen Menschen in unserem Dorf, die wir kannten. Direkt machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof, wo uns eine Limousine, die von dem König und der Königin geschickt worden war, abholte. Wir stiegen ein und freuten uns riesig.

Nach dreieinhalb Stunden kamen wir in Wellington an. Wir wurden mit dem herzlichsten Willkommen begrüsst, das man sich vorstellen konnte. Alle Leute aus dem Königreich standen draussen und winkten uns zu, als wir zum Palast fuhren. Ein wundervolles Feuerwerk erhellte die Abenddämmerung und alle waren erfreut. Wir fielen uns in die Arme, als wir ausstiegen und verbrachten einen wunderschönen Abend miteinander.

Obwohl die Pille anfangs sehr aufregend schien, habe ich gelernt, dass sie äusserst gefährlich sein kann und man sie nicht einfach zum Spass verwenden sollte. Ich habe allerdings noch Glück gehabt und würde es nie anders haben wollen! Auch wenn eine Situation aussichtslos erscheint, kann sich daraus immer etwas Gutes entwickeln.

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