Liebe macht blind

Die Sonne war schon am Himmel zu sehen und glomm auf die grosse Stadt London. Vogelgesang und das leise Wehen des Windes war zu hören. In der Luft lag ein weicher Duft von Kaffee und frischem, englischem Gebäck. Morgens ist der Verkehr in den Londoner Strassen geringer als gegen den Abend. Leslie schlenderte somit gemütlich in Richtung Covent Garden, wo sie in einem kleinen, gemütlichen Café arbeitete. Fröhlich genoss sie ihren morgendlichen Kaffee, bevor der Berufsstress für sie losgehen würde.

Klirrendes Geschirr, laute Rufe wie „Ice Kaffee für Tisch 23 ist bereit“ oder „Einmal Zitronenkuchen und dreimal Schokoladenmilch für Tisch 5 bitte“ drangen durch die kleine Küche des Kaffees „Coffee und Cake“. Gestresst rauschte Leslie durch die Tische und Bänke, an diesem Tag hatten sie sehr viele Gäste zu Besuch.

An einem kleinen Tisch, ausserhalb des Ladens, sass ein junger, gut gepflegter, braunblonder Mann. Seine Augen waren tiefblau, wie die Kette von Rose, von der Titanic. „Guten Tag, was hätten Sie gerne?“, begann Leslie zu stottern. Auf ihrer sonnengebräunten Haut spürte sie, wie sich Schweiss bildete. Lässig blickte der Mann zu ihr hoch und strahlte sie an: „Gerne einen Cappuccino und ein veganes Sandwich.“ „Aber natürlich“, stammelte Leslie, „kommt sofort“.

Leslies braunorangen Haare glänzten in der Sonne, wie der Sonnenuntergang an einem klaren Sommerabend. Der junge Mann war sehr beeindruckt von Leslie. So sehr, dass er sie, als sie mit dem Cappuccino und dem Sandwich zurückkam, fragte, ob sie Zeit hätte, nach ihrer Schicht etwas trinken zu gehen. Ohne langes Hin und Her willigte die junge Kellnerin ein.

Um Punkt 16 Uhr war ihre Schicht beendet und rassig eilte sie nach Hause, um sich noch schick zu machen. Ein langes blumiges Kleid zog sie an und kombinierte es mit schlichten Sandalen. Beim Covent Garden lief immer einiges. Man konnte Clowns beim Kabarett zusehen, Zauberern oder Leuten, die einem mit ihrer wunderbaren Stimme verzauberten.

James, so hiess der junge Mann, mit dem sich Leslie traf, stand vor einer roten Telefonzelle und wartete gespannt. „Wollen wir?“, fragte er neugierig. Somit schlenderten sie los und begannen sich allerlei von sich zu erzählen. Sie setzten sich vor ein kleines, niedliches Café und bestellten sich je einen warmen Tee. So vergingen Stunden, in denen sie sich näher kennenlernten.

Kurz vor sieben musste Leslie kurz für kleine Mädchen. Als sie zurückkam, wollten sie bezahlen, um danach zu gehen. Schon zückte sie ihr Portemonnaie, doch James stoppte sie und bat darum, dass sie ihn doch bezahlen lassen solle. Sie hatte nichts dagegen, doch sie hatte schon ihre Brieftasche offen und konnte sehen, dass ihr Geld weg war. Hatte ich nicht 100 Pfund mitgenommen, fragte sie sich. Egal, sie dachte sich nicht viel dabei. An diesem Abend begleitete James die Kellnerin nach Hause, wie es ein Gentleman so tut.

So vergingen zwei Wochen, in denen er sie im Coffee and Cake besuchte oder sie zusammen ein wenig spazieren oder essen gingen. Eines Tages kam James zu ihr nach Hause und wollte unbedingt für sie kochen. Sie wohnte in einem kleinen, englischen Haus, welches gemütlich eingerichtet war. Der junge Mann kochte Beef Wellington für sie. Sie verlebten einen wunderschönen Abend und Leslie verliebte sich immer mehr in James.

Nach einer Woche fiel ihr wieder ein, dass sie doch vor drei Wochen 100 Pfund nicht mehr gefunden hatte und wollte dadurch unter dem Sofakissen schauen, ob das Geld nicht doch noch dort lag. Von ihrer Mutter hatte sie gelernt, dass sie ihr Geld nicht an einem Ort aufbewahren sollte, sondern an diversen Orten. In der Küche unter dem Teppich, unter dem Sofakissen, in leeren Dosen, im Keller.

Leslie hatte allerdings noch gut vor Augen, wie sie die 100 Pfund unter dem Sofakissen hervorgenommen hatte. Denn da war wirklich nichts. Sicherheitshalber durchsuchte sie ihre Tasche. Vielleicht war ihr das Geld aus der Brieftasche gefallen und lag nun in der Tasche. Auch auch da waren keine 100 Pfund. Wo konnten diese bloss sein?

Ihr Telefon klingelte. Es war James. „Hey ich brauche unbedingt Geld. Kannst du mir 100 Pfund leihen? Mein Auto ist defekt und ich benötige das Geld, damit ich die Reparatur bezahlen kann.“ Sofort willigte sie ein und ging zur Kommode, die im Gang stand. Dort hatte sie auch mal 100 Pfund versteckt. Das Geld lag unter dicken Bücher, gut versteckt. Doch … es war weg. Das konnte nicht sein. Sie durchwühlte die ganze Kommode. Danach schaute sie unter dem Teppich nach, in den Dosen, im Keller, überall, auch dort war das Geld weg.

Sie fing an, zu verzweifeln. Wo ist mein ganzes Geld hin? Traurig teilte sie James mit, dass sie ihm kein Geld leihen könnte. Selbstverständlich verstand er dies und legte auf.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihrer besten Freundin zu erzählen, was geschehen war. Camilla wurde also die Geschichte präzise geschildert und sie fragte auch sehr genau nach wie: „Und ausser James war niemand im Haus?“ Leslie antworte: „Ja, ausser James war niemand im Haus und ja, ich bin mir ganz sicher, dass ich diese 100 Pfund an jendem Tag mitgenommen hatte, als ich mit James das erste Mal ausging.”

Sofort wusste Camilla, was los war und versuchte, es Leslie schonend beizubringen. „Spinnst du! Sicher nicht!! James hat das Geld nicht geklaut. Ich habe es wahrscheinlich verloren. Niemals hätte ich es dir erzählen dürfen. Geh weg!“, schrie Leslie aufgebracht. „Wenn du mir nicht glaubst, dass beweise ich es dir halt. Hier sind 50 Pfund. Ich lege sie hier auf die Kommode und du lädst James ein. Wenn das Geld nachher noch da ist, tut es mir Leid, ihn beschuldigt zu haben. Doch wenn es danach weg ist, dann haben wir ein Problem mit ihm“, erklärte Camilla.

Eigentlich wollte Leslie nichts hören, doch trotzdem tat sie es, denn sie wollte Camilla beweisen, dass sie im Unrecht war.

,,Dingdong” ertönte es in der ganzen Wohnung. Freudig machte Leslie die Tür auf und James stand dahinter. Ein breites Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit, als er Leslie sah. Eine herzliche Umarmung folgte. Wie abgemacht, lag eine 50 Pfund Note auf der Kommode. Mit einem hastigen Blick zur Kommode schob Leslie James ins Wohnzimmer. Kaffee und Kuchen standen schon auf dem kleinen Sofatisch bereit. Die beiden redeten und lachten viel.

Irgendwann verliess Leslie die Stube, um noch mehr Kaffee zu holen. Selbstverständlich konnte sich James noch an das Geld erinnern und nutzte die Gelegenheit, dies zu entwenden. Natürlich befürchtete er, dass es Leslie langsam auffallen könnte, weshalb er eine neue 50 Pfund Note hinlegte. Niemand sagte jedoch, dass diese echt war.

Als James fort war, rief Leslie freudig Camilla an, um zu berichten, dass sie Unrecht hatte. „Die Note lag so offensichtlich dort, dass er es für zu auffällig hielt“, antwortete Camilla.

Am nächsten Tag ging Leslie Lebensmittel einkaufen. Gerade wollte sie mit der 50 Pfund Note bezahlen. Misstrauisch betrachtete die Kassiererin Leslie, als sie ihr die Note gab. Das Geld wurde ins Licht gehalten und … was kam heraus? „Entschuldigen Sie, könnten Sie kurz mitkommen?“, bat die Frau. Verdutzt lief Leslie der Kassiererin hinterher, als diese sie ins Büro des Kaufhausdetektivs brachte.

In Leslie breitete sich Panik aus, als sie eine Unmenge Fragen beantworten sollte. „Könnte ich“, fragte Leslie vorsichtig, „bitte meine Freundin anrufen?“. Der Detektiv, welcher sie verhörte, schaute sie missmutig an und fragte sie, warum sie das wolle. „Ich meine es ernst. Ich wusste nicht, dass dies Falschgeld ist. Sie müssen mir glauben. Wenn ich meine Freundin anrufe, kann ich Ihnen weiterhelfen, denn ich denke, dass ich nun weiss, von wem diese Blüten stammen.“ „So, so.“

Leslie konnte es nicht fassen, dass Camilla recht gehabt hatte. James war der Verursacher ihrer Probleme. Wie hatte sie dies bloss nicht sehen können? Nun sass Leslie auf der Polizeistation und erzählte ihre Geschichte. Die Polizei wollte James sehen und befragen. Doch wie ging es mit James aus? War der Fall schon bekannt, dass er andere Leute bestahl?

Verzweifelt sass Leslie bei Camilla und heulte sich aus: „Ich kann es nicht fassen, wie ich dies nicht sehen konnte.“ „Weisst du“, fing Camilla an, „Liebe macht blind.“






4 Antworten auf „Liebe macht blind“

    1. Liebe Melina, vielen Dank fürs lesen meines Textes. Ich bin froh, dass er wie ein Schuft rübergekommen ist.

      1. Siehst Du mich grinsen ?😁 Zum Trost, leider muss ich es sagen…. das Erkennen von ‘Schuften’ erspart uns beim nächsten Mal vielleicht leichter das rechtzeitige Wiedererkennung und die Verhinderung eines Reinfalls.😍

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