Ein alter Kirschbaum, der in voller Blüte stand, ragte über den Weg. Charles fuhr mit seinem Zweigespann auf den Weg, vorbei an Feldern und Landschaften. Er war ein älterer Herr, der sich jeden Tag in seinen kleinen, grünen Wagen setzte und sich von seinen beiden Pferden, Daisy und Trixi, ziehen liess.
Er erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem er mit seinem ersten Pferd William ausgeritten war. Da sah er Lizzy, eine junge Brünette. Ihr Vater arbeitete auf dem Hof von Charles Eltern. Das erste Mal, als Lizzy den Hof betrat, hatte sie gelbe Blumen in der Hand, welche für Charles’ Mutter bestimmt waren, denn Lizzy war eine äusserst höfliche und adrette Person.
William war ein Rappe, der, wenn er durch die Sonne ritt, wie die Sonne selbst glänzte. Charles entdeckte Lizzy, welche ziemlich verloren auf dem riesigen Hof stand und wartete, bis sie eine Menschenseele sah. Doch da entdeckte sie Charles auf dem wunderschönen Rappen. Das junge Mädchen liebte Pferde. Selbstbewusst ritt Charles an Lizzy vorbei, um sie zu beeindrucken.
„Das ist aber ein schönes Pferd“, meinte Lizzy. „Vielen Dank.“ Lizzy war eine neugierige Person und fragte: „Wie heisst es denn?“ „William ist sein Name. Und wie ist Ihr Name?“, war Charles Antwort. So verging eine lange Zeit, in der sie über Pferde, den Hof, die Familie von Lizzy sprachen, denn diese hatte 13 Geschwister. Noch nie hatte Charles eine so starke Verbindung mit jemandem gespürt wie mit Lizzy. Er wusste ganz genau, dass sie ihn auch mochte.
So vergingen Monate, in denen Lizzy regelmässig Charles’ Mutter Blumen vorbeibrachte. Nur mit dem Unterschied, dass sie diese nicht mehr aus reiner Höflichkeit brachte, sondern um Charles zu sehen. Sie stellten sich neben William, damit es so aussah, als würden sie über Pferde reden.
Eines Tages kam Lizzys Vater in den Stall und sagte: „Hey Lizzy, wir müssen los. Greg kommt gleich zu Besuch.“ Lizzy wurde ganz rot im Gesicht. Verdutzt schaute Charles Lizzy an: „Wer ist denn Greg?“ Da antwortete ihr Vater Robin für sie: „Na, ihr Verlobter. Wusstest du das nicht?“ „Nein, das wusste ich tatsächlich nicht.“ „Auf jeden Fall müssen wir jetzt los. Komm Lizzy.“ Mit diesen Worten ging Robin mit Lizzy fort und liess Charles einfach nur reglos und traurig dort stehen.
Er spürte Wut, grosse Wut und Enttäuschung in sich. Er war nicht unbedingt wütend, weil sie verlobt war. Darüber war Charles eher traurig. Die Wut kam daher, dass sie gelogen hatte. Sie hatte ihn über vier Monate lang angelogen.
Am nächsten Tag war es regnerisch und Lizzy stand wieder mit Blumen auf dem Hof. Dieses Mal waren die Blumen aber für ihn bestimmt. Wortlos ritt er an ihr vorbei und tat so, als wäre sie Luft. Mit Tränen überfüllten Augen rannte sie Charles hinterher. Doch es hatte keinen Sinn. Er war schon über alle Berge hinweg.
Dies war das letzte Mal, dass sich beiden sahen. Es fühlte sich in Charles Herzen an, wie wenn eine riesengrosse Discokugel zerbrochen und in tausend Scherben zersplittert wäre. Noch heute, mit seinen 70 Jahren, tut es ihm weh.
Nach seinem kleinen Ausritt mit Daisy und Trixi sah er eine Person vor seinem Haus warten. Es war Lizzy. Verdutzt lief Charles zu ihr rüber. „Was tust du denn hier?“ Lizzy hatte Freudentränen in den Augen. „Ich wollte wissen, wie es dir geht und dich nach all den Jahren wieder sehen. Glaube mir, ich habe es immerzu, jeden Tag bereut, dich angelogen zu haben. Ich habe auch versucht, mich von ihm zu trennen, doch mein Vater wollte dies nicht und er hat mir es streng verboten. All die Briefe, die ich dir geschickt habe, hat er wieder aus eurem Briefkasten rausgenommen und weggeschmissen.“
Charles konnte es nicht fassen, Lizzy wiederzusehen. Nie hätte er gedacht, dass sie sich je wieder begegnen würden.
Dieser Text ist im Rahmen der Impulswerkstatt März/April 2023 von Myriade entstanden. Dafür stehen vier Bilder sowie zwei Rahmensätze zur Verfügung.
Oh, eine traurige Geschichte! Ich finde es sehr gelungen wie du sowohl das Foto mit dem Pferdewagen als aich die Discokugel untergebracht hast, Herzliche Grüße !
Vielen Dank, dass freut mich sehr zu hören:)